Die Porträtsammlung der Dr. Senckenbergischen Stiftung

Der Frankfurter Arzt Johann Christian Senckenberg (1707–1772) ging nicht nur als Stifter in die Geschichte seiner Heimatstadt ein, sondern – was nur wenige wissen – auch als Porträtsammler. Nach einem eher holprigen Start ins Berufsleben – er wurde erst im für das 18. Jahrhundert fortgeschrittenen Alter von 30 Jahren promoviert – ließ er sich in seiner Heimatstadt nieder und war ein allseits geschätzter Mediziner. Zu seinem Vermächtnis gehört neben der bis heute existierenden und nach ihm benannten Dr. Senckenbergischen Stiftung und dem Bürgerhospital auch ein beachtlicher Bestand von beinahe 170 Porträtgemälden.

Die Anfänge

Das Initialmoment für Senckenbergs Sammeltätigkeit war mehreren traurigen Ereignissen geschuldet. Kurz hintereinander verlor er seine große Liebe, Anna Rebecca, und das gemeinsame Kind. Auch seine zweite Frau, Catharina Rebecca, und sein Sohn starben nach kurzer Zeit. Aus Kummer über ihren Verlust ließ der zweifache Witwer die Verstorbenen posthum porträtieren. Auch er selbst ließ sich dreimal malen und beauftragte hierfür die Künstler Friedrich Ludwig Hauck und Anton Wilhelm Tischbein. Bildnisse von anderen Mitgliedern der Familie Senckenberg kamen mit der Zeit hinzu, wie die Porträts seiner Eltern – des Frankfurter Stadtphysikus Johann Hartmann und der als cholerisch geltenden Anna Margaretha –, das Bildnis von seinem Bruder – dem Juristen und Reichshofrat Heinrich Christian – sowie von dessen Sohn Renatus Leopold Christian Carl.

Darüber hinaus sammelte Senckenberg Bildnisse von Personen, die ihn inspirierten, wie beispielsweise der Mystiker Jakob Böhme oder der pietistische Arzt und Theologe Johann Konrad Dippel. Akribisch führte er Buch über die langsam anwachsende Kollektion. Leider müssen seine zwei handgeschriebenen Inventare als verschollen gelten. Senckenbergs Biograf, August de Bary, der diese wertvollen Quellen offensichtlich noch zur Hand hatte, dokumentierte aber, dass darin neben der privaten Ahnengalerie Bildnisse von Gelehrten, vornehmlich aber von anderen Ärzten verzeichnet waren.

Mit Senckenbergs Stiftungsgründung im Jahr 1763, zu der er sich aus Liebe zu seiner Heimat und „bey Ermangelung ehelicher Leibes-Erben“ entschlossen hatte, bekam die Sammlung eine neue Aufgabe. Die Bildnisse von verdienstvollen Medizinern der Vergangenheit erhielten eine Vorbildfunktion, denn sie wurden in jenem Raum aufgehängt, in dem die Frankfurter Ärzteschaft, das Collegium medicum, regelmäßig zusammenkam. In den darauffolgenden Jahren erfuhr die Sammlung durch Schenkungen großen Zuwachs, denn man war stolz darauf, sich selbst oder die eigenen Vorfahren in die Reihe der „geistigen Ahnen“ einzufügen. So geschah es beispielsweise mit den Bildnissen von Johann Kißner, Johannes von Flammerdinghe, Carl Wilhelm Christian Weidmann oder Jakob Friedrich de Neufville.

Zwischen Sammellust und Sammelfrust

Nach Senckenbergs Tod wurde die Porträtsammlung mal mehr, mal weniger beachtet. Während des „langen 19. Jahrhunderts“ war das Stiftsgelände am Eschenheimer Tor Schauplatz verschiedener Ereignisse wie der Errichtung einer „Medizinischen Spezialschule“ während des Bestehens des Frankfurter Großherzogtums (1810–1813), der Einquartierung von Soldaten während der Befreiungskriege (1813–1815), einer flächenmäßigen Erweiterung und baulichen Veränderung der Stiftsgebäude in der Jahrhundertmitte sowie der allmählichen Etablierung des wissenschaftlichen Vereinslebens, das die naturwissenschaftliche Forschung am Main florieren ließ. Neben der „Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft“ wurden der Ärztliche Verein sowie Vereine für Physik, Geografie und Mikroskopie ins Leben gerufen. Mit einem erstarkten Gemeinschaftsgefühl unter den „Senckenbergianern“, zu denen nicht mehr nur Ärzte und Anatomen, sondern auch Zoologen, Botaniker, Geografen und Physiker gehörten, ging auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Historie einher, die sich mit den Bildnissen aus der Sammlung illustrieren ließ.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war der Bestand auf 80 Gemälde angewachsen. 1907, anlässlich des 200. Geburtstags des Stifters, rief der Administrationsvorsitzende Ernst Roediger die Frankfurter Bürger auf, die Sammlung durch Schenkungen – und sei es nur durch Kopien älterer Werke – zu bereichern. Die Resonanz war groß: 41 weitere Gemälde kamen auf diesem Weg hinzu. Darunter waren etwa die Porträts des Chemikers und Physikers Rudolf Christian Böttger, des Hautarztes Johann Georg Alexander Knoblauch, des Lungenarztes Peter Dettweiler oder des Stadtphysikus Johann Hartmann Beyer.

Zur selben Zeit kam es zu großen Veränderungen. Das alte Stiftsgelände am Eschenheimer Tor war zu klein geworden, um allen wissenschaftlichen Institutionen noch Platz bieten zu können. Daher wurden sie auf verschiedene Standorte in der Stadt verteilt: Das Bürgerhospital wurde in die Nibelungenallee verlegt, der Botanische Garten auf das Gelände des heutigen Palmengartens, das Pathologisch-Anatomische Institut auf die andere Mainseite und das Naturmuseum, das heutige Senckenberg Museum, in die Viktoria-Allee (heute Senckenberganlage). In unmittelbarer Nähe wurde 1914 die Frankfurter Universität eröffnet und die Senckenbergischen Institute wurden Teil der Hochschule. Für die Porträtsammlung hatte das zur Folge, dass die Bildnisse auf verschiedene Fakultäten und Gebäude aufgeteilt wurden. Ihre Einheit ging damit verloren.

Dunkle Zeiten

Die Frankfurter Universität ist als Stiftungsuniversität ein Zeugnis der die Wissenschaft und den Fortschritt fördernden Bürgerschaft. Senckenberg hatte mit seiner Stiftung den Grundstein gelegt, auf dem das universitäre Leben über 100 Jahre nach seinem Tod gedeihen konnte. Unter den großzügigen Stiftern Frankfurter Universität befanden sich auch Angehörige zahlreicher jüdischer Familien. Ebenso waren unter den „Senckenbergianern“ ab Mitte des 19. Jahrhunderts viele Ärzte jüdischen Glaubens, wie der Pathologe Carl Weigert oder der Neurologe Ludwig Edinger, vertreten. Bis 1933 spielte ihre Religionszugehörigkeit kaum eine Rolle und so fügten sich auch ihre Bildnisse in die Sammlung ein – bis heute sind es 18 an der Zahl. Dass dem so ist, ist keine Selbstverständlichkeit, denn nach der Machtergreifung Adolf Hitlers, die auch die Auflösung des Ärztlichen Vereins zur Folge hatte, verloren jüdische Ärzte ihre Existenzgrundlage. Die Nationalsozialisten waren bestrebt, jegliche Erinnerung an ihre Verdienste auszulöschen.

Das konnte glücklicherweise verhindert werden, indem diese Porträts zunächst als Leihgabe an das Israelitische Krankenhaus gegeben wurden, wo sie vorerst ein letztes Mal die Funktion als eine Galerie „geistiger Ahnen“ erfüllten. Anschließend, nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wurden sie zusammen mit weiteren Gemälden aus dem Bestand der Dr. Senckenbergischen Stiftung in das Depot des Städelschen Kunstinstituts verbracht.

Aus- und Lichtblicke

Nach Ende des zweiten Weltkrieges machte sich vor allem der Administrationsvorsitzende August de Bary, dessen klugen Entscheidungen die Bewahrung der Sammlung zu verdanken ist, um den Bestand verdient. Er inventarisierte ihn und brachte seine Geschichte zu Papier. Doch wie De Bary richtig prophezeit hatte, war die Zeit des Porträtmalens und -sammelns vorbei. Bis auf sehr wenige Eingänge und Verluste behielt die Kollektion in den folgenden Jahren ihren Umfang. Inzwischen sind es 168 Werke, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst fast in Vergessenheit geraten sind und anschließend wiederentdeckt wurden.

Tatsächlich hat die Porträtsammlung nie aufgehört, Teil der DNA der Dr. Senckenbergischen Stiftung zu sein. Heute ist man sich der Einzigartigkeit des über die Jahrhunderte gewachsenen Bestands mehr denn je bewusst. Von diesem Identitätsgefühl zeugt auch diese digitale Sammlungspräsentation, die als Ergänzung zu der von Corinna Gannon verfassten Buchpublikation „Die Porträtsammlung der Dr. Senckenbergischen Stiftung. Frankfurter Medizin- und Kunstgeschichten“ (München 2022) entstanden ist. Sie möchte Interessierte dazu einladen, mit den Bildnissen auf eine Reise durch die Zeit zu gehen, und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein Instrument an die Hand geben, um den Bestand auch in Zukunft weiter zu erforschen.