Berühmte Köpfe aus Frankfurter Porträtsammlungen

Seit ihrem Aufkommen in der Renaissance erfüllten Bildnisse – ganz gleich ob großformatige Porträtgemälde oder schnell reproduzierte Druckgrafiken – vor allem einen Zweck: die Zurschaustellung von Prestige. Das galt sowohl für die Dargestellten als auch für die Sammler. Mit dem Besitz eines Bildnisses, oder im besten Fall sogar einer ganzen Kollektion, ging Ansehen einher, denn Bildnisse und Bildnissammlungen dienten auch als Wissensspeicher. Wie eine vormoderne Datenbank bündelten sie Wissen um die sozialen, politischen oder wissenschaftlichen Verdienste der Porträtierten, Wissen um deren Position in der Gesellschaft und somit Wissen um die Mechanismen verschiedener Lebensbereiche.

Eine Datenbank ist auch die Webseite „Berühmte Köpfe. Frankfurter Porträtsammlungen“. Sie möchte Nutzerinnen und Nutzern ein zweckdienliches Instrument an die Hand geben, um in Frankfurt zusammengetragene Kollektionen zu erkunden und mehr über die illustren Damen und Herren auf repräsentativen Ölgemälden, massenhaft verbreiteten Kupferstichen und Radierungen und aufwendig gestalteten Schabkunstblättern zu erfahren. Als Grundlage für zukünftige Forschungsvorhaben zum Phänomen des Bildnissammelns sind die Werke nach kunsthistorischen Standards erfasst worden. Kurztexte führen in den jeweiligen Bestand ein.

Insgesamt vier Bestände werden hier präsentiert: Die dynastische Porträtgemäldesammlung der Frankfurter Patrizierfamilie Holzhausen, die knapp 1300 Porträtgrafiken, die die ständische Ordnung der Frankfurter Gesellschaft vom 16. bis zum 18. Jahrhundert abbilden und von dem Kaufmann Joachim Andreas Sauer (1712–1784) in zwei Klebealben zusammengetragen wurden und die später auch in den Besitz der Holzhausen gelangten, die Gemälde von Frankfurter Ärzten und verdienstvollen Bürgerinnen und Bürgern, die der Mediziner Johann Christian Senckenberg (1707–1772) initiierte, sowie die einzigartige Kollektion von etwa 1500 druckgrafischen Bildnissen von Ärzten und Naturforschern aus dem Besitz von Senckenbergs Kollegen Georg Philipp Lehr (1756–1807).

Wie die Porträtsammlungen hat auch ihre hier vorliegende digitale Präsentationsform eine Geschichte. Sie begann mit einem Lehr-, Forschungs- und Ausstellungsprojekt. Zwischen 2018 und 2020 haben Studierende der Master-Studiengänge Kunstgeschichte und Curatorial Studies am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität die Sauer’schen Porträtgrafiken, die erst kurz zuvor in der Universitätsbibliothek wiederentdeckt und digitalisiert worden waren, gesichtet und systematisch erfasst. Unter der Leitung von Prof. Dr. Jochen Sander, Inhaber der Städel-Kooperationsprofessur für die Bildkünste in Deutschland und den Niederlanden zwischen Spätgotik und Barock, erarbeiteten die Studierenden über einen Zeitraum von drei Semestern ein Ausstellungskonzept, dessen Gegenstand die vielfältigen Formen des unter Frankfurter Bürgern beliebten Bildnissammelns vom 16. bis zum 18. Jahrhundert sein sollte. Im Frühjahr 2020 konnte die Ausstellung „Die Welt im Bildnis. Porträts, Sammler und Sammlungen in Frankfurt von der Renaissance bis zur Aufklärung“ im Museum Giersch der Goethe-Universität eröffnet werden. Den Materialkern dieser Schau bildete die Kunstsammlung der Patrizierfamilie Holzhausen – die heute im Städel Museum bewahrten Porträtgemälde der Familienangehörigen des 16.-18. Jahrhunderts sowie die von den Holzhausen erworbene Porträtgrafiksammlung Sauers, die sich heute in der Frankfurter Universitätsbibliothek befindet. Ergänzt wurden diese Bestände durch weitere Kollektionen, wie etwa die der Dr. Senckenbergischen Stiftung, des Bibliothekars Johann Martin Waldschmidt, die ebenfalls neu entdeckte Sammlung des Stiftsarztes Georg Philipp Lehr, die des Buchhändlers Grohte, des Stadtsyndikus Heinrich Kellner oder des Bankiers Johann Christian Gerning.

Porträts und Porträtsammlungen liegen im Trend kunsthistorischer Forschung. In den vergangenen Jahrzehnten hat diese Bildgattung immer größere Aufmerksamkeit erfahren, was auch der Digitalisierung von Museums- und Bibliotheksbeständen zu verdanken ist. Daher konnte sich unmittelbar an die in Frankfurt gezeigte Schau ein weiteres Forschungsprojekt zur Gattung „Porträt“ anschließen. Die Dr. Senckenbergische Stiftung gab eine umfassende Erforschung ihrer Gemälde- und Grafikbestände in Auftrag, die seit dem Bestehen dieser Institution fester Bestandteil ihrer Identität sind. Die Ergebnisse werden in der von Corinna Gannon verfassten Monografie „Die Porträtsammlung der Dr. Senckenbergischen Stiftung. Frankfurter Medizin- und Kunstgeschichten“ (Hirmer 2022) zugänglich gemacht. Parallel dazu wurde in Kooperation mit der Bildstelle des Kunstgeschichtlichen Instituts und der Wendig OÜ an einer digitalen und funktionalen Präsentationsform der bereits genannten Bildniskollektionen gearbeitet. Das Resultat ist die Webseite „Berühmte Köpfe“, auf der knapp 3000 Bildnisse aus fünf Jahrhunderten zusammengeführt werden. Die detaillierte Suchfunktion bietet die Möglichkeit, die Bestände nach verschiedenen und individuell gewählten Kriterien – wie den dargestellten Personen, den Künstlern, der Technik, dem Entstehungszeitraum oder -ort – zu durchsuchen und soll zu neuen Fragestellungen anregen.